Wohin führt der Weg?

Welche Geschichte, die du gelesen oder gesehen hast, hatte das meiste Entwicklungspotential in deinen Augen?

In einem Gutteil aller Geschichten geht es um die Entwicklung von Figuren, wie sie ihre Schwächen abzulegen suchen, etwas erreichen wollen, Stärken finden und vieles mehr. Vergleichen wir die Figuren am Ende mit dem, was sie zu Beginn waren, so stehen wir als Leser oft vor einem echten „Aha-Erlebnis“ oder „Wow-Effekt“. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine lange Serie wie die Geschichte um „Uhtred von Bebbanburg“ in „Last Kingdom“ geht oder etwas, das in vielleicht 50 Seiten abgehandelt werden kann.

Wir alle entwickeln uns in unserem Leben, Erfahrungen führen uns zu einem neuen Ich, wenn wir – du genauso – Entscheidungen treffen, ist es genauso eine Entwicklung, wie wenn wir uns alledem verweigern und vielleicht als Einsiedler in die Natur zurückziehen.
Die wohl besten Schreiberlinge schaffen es, uns mit in diese Welt zu nehmen, mitfiebern lassen und einfach eine Verbundenheit zu fühlen, die die Geschichte lebendig werden lässt. Doch wie schaffen sie das? Die Frage kann dir der jeweilige Schreiberling wohl nur selber beantworten – ABER es ist wohl eine gute Idee, sich zu überlegen, wie du eine Entwicklung in einer Figur vorantreibst.

Es gibt immer mehrere Möglichkeiten von einem Ende der Entwicklung zur nächsten zu gelangen. Eine dieser Punkte besteht darin zu sagen, wo die Figur schlussendlich sein soll. Stellen wir uns doch einen ganz konkreten Endpunkt vor, wie beispielsweise eine Figur, die auf einer einsamen Insel gelandet ist und dort die letzten Tage seines Lebens in Frieden verbringt, oder eine andere Figur, die im Feuer eingeschlossen ist und nicht weiß, wie es weitergehen soll. Eine andere Figur steht vielleicht auf dem Podest und hält eine Goldmedaille für den Sieg in Händen und strahlt vor Glück, die andere wiederum liegt im Sarg unter der Erde und wurde scheintot begraben.
So viele Leben es auch geben mag, jedes Leben hat irgendwo einen Punkt, wo es schlussendlich hinwill oder aus bestimmten Umständen heraus landen soll.

Nehmen wir also einen x-beliebigen Punkt, ein bestimmtes Szenario, wohin diese Figur kommen soll. Wie wäre es in dem Fall mit einer Figur, die einen kleinen, aber bedeutsamen, Wissenfunken finden soll? Dieser eine Funke ruht verborgen in der Erde verborgen, etwas, das die Entwicklung der Menschheitsgeschichte nachhaltig verändern wird (erinnerst du dich an den Stein von Rosette, durch den erstmals Übersetzungen alter Sprachen wirklich möglich waren?).
Diese Figur, soll eines Tages diesen Funken in Händen halten und damit eine Chance, um etwas zu erreichen, das vieles aus der Vergangenheit erklärt.

Doch diese Figur lebt nicht einmal im gleichen Land, es ist eine junge Teenagerin, die im Augenblick die Sorge hat, wie sie einmal ihr Leben finanzieren soll.

Nun stellt sich die Frage, wie sich die Figur entwickeln muss, um schlussendlich an diese besagte Stelle zu gelangen. Sie ist schüchtern, introvertiert und leicht aus der Bahn zu bringen, sie ist neugierig und interessiert.

Wie also kommt die Figur von ihrer Ausgangsbasis zum Fundplatz?
Was muss sie lernen, um zu erkennen, zu verstehen und zu wissen, wieso sie gerade dort graben soll?

Wenn wir als Schreiberlinge eine solche Situation aufbauen können wir ein paar Brocken in die Geschichte einstreuen, die nötig sind, beispielsweise Fixpunkte wie eine Reise oder im Fall der Figur einen Punkt, warum sie überhaupt dorthin fahren soll. Dies kann eine berufliche Reise ebenso sein, wie einfach mal eine Auszeit nehmen. Wenn sie vor Entscheidungen steht, dann ist es sinnvoll, ihr Möglichkeiten zu bieten, die ihr die Wahl leichter machen. Vielleicht hat sie auch ein Trauma erlebt und besondere Fertigkeiten erlernt – wodurch sie erst auf diesen Gedanken kommt.

Wenn wir einer Figur in einer Geschichte eine Entwicklung ermöglichen, so sind Erfahrungen sehr wichtig, Stillstand hilft der Entwicklung nicht. Ob diese gut oder schlecht sind, sei dahingestellt, aus jeder Erfahrung lernen wir und genau dadurch entwickeln wir uns auch. Wenn eine Figur dann meint, sie muss einen eigenen Weg gehen, na umso besser 😉 denn dann hat sie einen guten Grund, auch wenn er vielleicht dem ursprünglichen Gedanken nicht entspricht.

Wenn du als Schreiberling eine Idee hast, wohin die Geschichte gehen soll, dann überleg dir eine Ausgangsposition und verstreue Punkte, die der Figur helfen, sich zu entwickeln. Fixpunkte vielleicht oder Erlebnisse – denn wenn es um das Ziel geht, kannst du so auch ein klein wenig steuern.

Oder nutzt du eher eine Ausgangsposition und lässt dich lieber überraschen, was werden wird?

3 Gedanken zu “Wohin führt der Weg?

  1. Für mich muss eine gewisse Handlung haben. Manchmal bekommen Zweifel, ob man das richtige macht und dann macht es plopp. Alles ist gut. Es war der richtige Weg oder die richtigr Entscheidung. Jeder hat mal Zweifel und wenn es gut wird, ist man glücklich. Es steckt in jeden Buch Spannung drin, man muss nur erkennen in welche Richtung es geht. Da ich verschiedene Romane lese, stelle ich mich es weiter aus. Für mich steht die lesbar in Forderung. Es kann noch so gute Geschichte dahinter stecken, wenn ich anfange zu lesen und nach fünf Minuten weglese, dann ist doof. Wenn ich aber ein Buch mich fessselt, dann lese ich es meistens durch, wenn ich Zeit habe. Ich denke jeder Leser sieht es anders. Manche finden ein Buch toll, was ich nach fünf Minuten weg lege. Es kommt immer darauf an, in welcher Leselaune ich bin. Mal in Fantasy, dann wieder in Liebesroman oder dann was ganz anderes. Bei einer Geschichte habe ich so gelacht, dass meine Kinder mich fragten, warum ich so lache. Manchmal braucht ein Buch etwas von Humor, damit man in dieser Zeit lachen kann.

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  2. hmkaufmann

    Über das Plotten von Geschichten gibt es unzählige Workshops, Blogs und Bücher mit Ansätzen, die genrebezogen Unterschiede aufweisen, aber ähnlichen Grundprinzipien (die „XY“-Methode etc.) folgen. Ein Krimi, ein Thriller, eine Lovestory, eine Sci-Fi- oder Fantasygeschichte oder aber auch ein Kinderbuch hat unterschiedliche Anforderungen an ihre handelnden Figuren und nicht immer macht der/die Protagonist/in eine deutlich erkennbare Entwicklung durch. Zumeist ist es wie im realen Leben auch: Man hat etwas erlebt und eine Erfahrung gemacht, die sich auf das weitere Leben mehr oder weniger auswirkt. So gesehen, verändert uns alltäglich alles, sofern wir dafür offen sind. Das Besiegen einer Angst, eine Schwangerschaft und die Erziehung unserer Kinder, ein tragischer Unfall, ein physisches oder psychisches Trauma, eine Krankheit, Krieg und Frieden, Tod und Leben – Partikel eines jeden Lebens. In Geschichten lesen wir, wie eine Nicht-ich-Figur eine oder mehrere Situationen oder Probleme meistert (oder darin versagt?) und durch das Beobachten geschieht das, was auch bei eigenen und realen Erlebnissen geschieht: Wir lernen. Gute Geschichten sind subtil in ihren Botschaften und berühren unsere Seelen ohne Holzhammer. (Und weil niemand alles selber erleben kann, bildet lesen. 🧐)

    Ich persönlich bin der Auffassung, dass bei den Figuren und der Handlung weniger konstruiert werden sollte, sondern das Augenmerk mehr auf Authentizität liegen sollte. Was der Leser für glaubhaft hält, geht tiefer unter die Haut und der jeweilig beabsichtigte Effekt (Horror, Rührung, Angst, Mitgefühl …) wird dadurch verstärkt. „Was wäre wenn…“ ist für mein aktuelles (ha, ha, nennt man vier Jahre Denkarbeit überhaupt noch aktuell?) die Lieblings-Ausgangsprämisse, denn ich werfe mich damit selber in diese Situation und beschreibe ’nur‘, was geschieht. Es passiert (wem?) etwas Ungewöhnliches (was?) und eine Lösung/Aufklärung (warum?) ist das Ziel. Die Geschichte erzählt das Wie.

    Es gibt so viele Optionen gute Geschichten zu erzählen und immer ist es etwas anderes, was sie in unseren Augen besonders sein lässt. Manchmal ist es die Hauptperson, die interessant ist, ein andermal fesseln vielleicht spannende Actionszenen oder ein ganz außergewöhnliches Setting … Illusorisch ist es, JEDEN Leser erreichen zu wollen, denn ein Faktor bleibt Autoren immer unbekannt: Die persönliche Biografie des Lesers und seine Stimmung zum Zeitpunkt des Lesens.

    Um Deine Eingangsfrage zu beantworten, liebe Rhia, habe ich die (mal wieder zu vielen) vorangegangenen Zeilen gebraucht, denn meine Antwort lautet: Das Entwicklungspotential einer Figur macht allein noch keine gute Story aus. Potential hat schließlich jede. Ein „neues Ich“ wäre ohnehin nicht glaubwürdig und nicht immer muss eine große Lehre, Moral oder Lektion am Ende stehen. Um einen Charakter zu modellieren, muss man sich im Leben schließlich zahlreicher Herausforderungen stellen und nicht einmal dann sind zwangsläufig Änderungen bemerkbar.

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