Luna – eine kleine Geschichte

Manche Geschichten wollen erzählt werden. Ein Teil meines: „Erfinde-dich-neu“

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Luna

Erinnerst du dich, wie es war, als du noch bei deinem Menschen gelebt hast? Es war eine schöne Zeit gewesen, geliebt und mit Streicheleinheiten versorgt, Zuwendung von „ihren“ Menschen erhaltend war sie zugleich die treueste Seele, die man sich nur vorzustellen vermochte.

Nun war Luna ein einsames Wesen, das mitten im Wald herumirrte. Wie sie es geschafft hatte, hierher zu kommen, das konnte sie sich nicht mehr erinnern. Ihr Magen knurrte, ihre Lenden verlangten nach Futter. Lauter noch als ihr Heulen knurrte der Magen und verlangte nach Nahrung – etwas, das ihr sonst immer der Mensch gegeben hatte. Konnten Hunde weinen? Konnten Wölfe weinen?
Verzweifelt wie ein Häufchen Elend saß die Mischlingshündin mitten auf der kleinen Lichtung, vom Mond beschienen und hatte Angst. Angst davor, ihren Menschen nicht mehr wiederzusehen, Trauer, weil sie ihre Welpen verloren hatte, die sie vor wenigen Tagen erst bekommen hatte. Ihr Herz, ihre Seele, waren voll mit unendlicher Traurigkeit, die sie in die Nacht hinausschrie, den Mond, der am Himmel seine Bahnen zog, nahezu flehentlich anzubetteln schien.

Sie vermisste ihren Menschen und die Kleinen.

Schritt für Schritt tappte sie vorwärts, in ihre Nase zogen fremde, unbekannte Gerüche, die sie nicht zuzuordnen vermochte. Die Geräuschkulisse war ihr fremd, zu sehr war sie Straßenverkehr und das Geschrei von Menschenkindern gewohnt gewesen. Doch was war nun? Es war still, bis auf das Geschrei von Nachtvögeln, das Knacken von Holz, während unter ihr das Zweiglein zerbrach …

Sie wollte nach Hause, zurück zu ihrem Menschen, den Pfad dahin hatte sie schon längst verloren.

Vor sich erspähte Luna einen kleinen Schattenriss, einen jungen Hasen, der sie völlig entgeistert anstarrte. Etwas in ihr zerbarst und erwachte – der lang verborgene Jagdinstinkt. Als würde etwas in ihr seine Hand nach ihrem Herzen ausstrecken, so fühlte sie instinktiv wie sie die Beute jagen und fassen musste – und es gelang.

Der erste Hunger gestillt, fühlte sie etwas anderes in sich – Durst.

Die Suche nach Wasser trieb sie ebenso voran wie der Wunsch zu ihrem Menschen zurückzukehren. Und so dauerte es nicht lange, bis sie etwas anderes witterte: Wolfsgeruch!

Obwohl Luna die Sache nicht geheuer war, so folgte sie dem Geruch doch. Je näher sie der Quelle kam, umso deutlicher fühlte sie etwas anderes: Tod!
Bis sie über die Leiche einer Wölfin stolperte. Sie musste erst kürzlich Mutter geworden sein, ebenso wie sie selbst. Es war mucksmäuschenstill im Umfeld, bis auf ein Geräusch: das Wimmern von Welpen. Das kannte Luna und es brach ihr beinahe das Herz, als sie vor ihrem inneren Auge ihre eigenen Jungen hatte. Ihr Mutterinstinkt trieb sie vorwärts dem Wimmern zu folgen, bis sie in einer kleinen Höhle Welpen fand. Diese, noch beinahe winzigklein, kauerten sich ängstlich aneinander. Wo war ihre Mama?
Luna stand starr vor den Jungen und wusste erst nicht, was sie tun oder denken sollte, bis sie eines erkannte: Die Kleinen waren allein und brauchten Hilfe. Sie brauchte etwas anderes – und so betrat sie die Höhle. In ihren Zitzen war noch Milch, die die Kleinen gut brauchen konnten. Hunger stand in den Augen der Kleinen, Liebe in den Augen Lunas. Sie legte sich zu ihnen und forderte sie auf zu trinken.
Wärme von ihrem Körper, die Nahrung, die sie bot, ließen die Kleinen zu ihr krabbeln. Mama? Bist du jetzt unsere Mama? So dürften sich die Kleinen das gedacht haben und begannen das Angebot anzunehmen.

Seufzend ließ Luna zu, dass die Kleinen sie wie ihre Mutter behandelten, und fühlte die Wärme der kleinen Körper an dem ihrigen. In diesem Moment beschloss sie, sie würde für die Kleinen da sein und ihr Bestes geben. Erst während sie einschlief, erinnerte sich Luna, dass keiner ihrer Welpen die Geburt überlebt hatte. Sie vermisste ihren Menschen, aber sie hatte etwas anderes gefunden – Leben, die sie dringend brauchten, und sie würde ihre neue Aufgabe wahrnehmen.